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Nationalparkzentrum, Zernez

Die Engadiner, die im 18. und 19. Jahrhundert in aller Herren Länder ausgewandert sind, um eine neue Existenz als Zuckerbäcker aufzubauen, sorgten mit ihrem internationalen Auftreten für Einfluss im Ausland und als traditionsbewusste und zugleich moderne Rückkehrer für kulturelle und bauliche Veränderungen in der Heimat.
Erst die offene Haltung gegenüber Fremdem und Neuem ermöglichte die touristische Entwicklung des Engadins. Pionierhaft veränderten diese Einflüsse die architektonische Landschaft des Engadins. Denken wir an den Wiederaufbau von Zernez und Lavin, die Hotelbauten zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder an die Konstruktionen der Rhätische Bahn. Dieser Mut zur Veränderung und ein weitsichtiger Pioniergeist liess auch den Schweizerischen Nationalpark (SNP) entstehen. In diesem Sinne wurde die Übergabe des Schlosses Wildenberg von der Gemeinde Zernez an den SNP vollzogen, und diese Grosszügigkeit im Denken sollte im neuen Infocenter des SNP seine Fortsetzung finden.

Die Architektur des neuen Infocenters ist Ausdruck der internationalen Interaktion und der Ausstrahlung des SNP.
Die Einordnung des Neuen in das Gefüge von Dorf und Schloss erfolgt mit dem Selbstverständnis des Nebeneinander und kann als Manifest für die Veränderung und als Exempel von „gebauter Zeit“ gelten.
Die Architektur trägt das Gedankengut des SNP mit dem Pioniergeist von damals in die Internationalität und die Kommunikation des Heute über das Vehikel des Internets.

Nicht das Schloss, dessen Würde untangiert bleiben muss, wird erweitert, sondern dessen barocker Park, der sich wie eine Aura um das historische Gebäude legt. Wer diese Aura nicht verletzen will, muss vorsichtig und respektvoll vorgehen und gebührend Abstand halten. Deshalb definiert eine moderne, adäquate Parkerweiterung die vegetative Raumgliederung, und ein kaum wahrnehmbares Volumen im Schatten der Vegetation, ein fliegender, schwebender, in Proportion und Richtung schwer fassbarer Körper, ein virtueller Raum ergänzt diese Vegetation. So wird der Blick in die Natur kaum beeinträchtigt, die Aura nicht verletzt, und Zernez um einen öffentlichen Park bereichert.

Das Infocenter besteht aus einem organisch geformten, erhöhten Körper. Die freie Form reagiert präzise auf die unmittelbare Umgebung. Der kompakte Baukörper bildet einen in sich steifen, raumhaltigen Kastenträger und steht auf drei verglasten Erschliessungskernen. Das Glas erhält in diesem Zusammenhang eine physische Qualität. Tragende Teile, Licht und Transparenz verschmelzen miteinander.

Drei Gebäudearme strahlen in die räumliche Vielfalt der Dorfstruktur, und der virtuelle Ausstellungskörper gliedert sich im Innern ebenfalls in drei Teilbereiche. Die Ausstellung ist als Rundgang angeordnet, wobei sie sich in die Bereiche „Flora“, „Fauna“ und „Wechselausstellung“ aufteilt. Raumgrosse Projektionen (starre und bewegte Bilder, Texte; auf Wand, Boden und Decke) werden mit Musik und Ton begleitet und von Einzelexponaten oder Bildschirmen in kleinen Nischen ergänzt und bereichert – eine Audio-Visuelles Erlebnis. Im Erdgeschoss befindet sich ein gemeinsames Foyer, von dem aus die Ausstellung, der Laden des SNP, der Verkehrsverein und die Lokale der „Uniun dals Grischs“ zugänglich sind.
Die Zutrittskontrolle der Ausstellung erfolgt über den Eintrittschip, welcher den Zugang über die Rampe oder den Lift ermöglicht. Der Besucher wird nach dem Besuch der Ausstellung über die Treppe in die Verkaufsräumlichkeiten des SNP geführt.

Die heutigen und künftigen Kunden des Nationalparks sind jung und international ausgerichtet. Das neue Infocenter des Nationalparks muss somit inhaltlich und im architektonischen Ausdruck als Metapher für die modern erschlossene, international vernetzte Naturwelt stehen. Der Schutz der Natur, die Pflege der Tierwelt und die Notwendigkeit klar definierter menschlicher Nutzung sind als Themen von so eminenter Wichtigkeit, dass sie als Botschaft adäquat nach aussen kommuniziert werden müssen. Das neue Infocenter sieht einen virtuellen Ort vor, in dem sich Besucher informieren und durch Impressionen bereichern lassen können. Die Virtualität soll mit dem neuen Nationalparkauftreten eins werden. Nicht nur die Ausstellung ist virtuell, auch die Corporated Identity soll über das World Wide Web eine internationale Interaktion ermöglichen. Die stete Förderung der Kommunikation erlaubt, national und international das ökologische Verantwortungsbewusstsein zu fördern sowie gleichzeitig für die eigene Sache zu werben.

Die Besucherin und der Besucher des neuen Infocenters sieht in der sich stets verändernden Ausstellung eine verschleierte Welt der Fauna und Flora des SNP. Es wird absichtlich nicht die Illlusion kreiert, der Besucher befinde sich in der Wildnis. Die Abbildung der Realität eröffnet den Spielraum für eine bewusste Auseinandersetzung, eine Kommunikation über die Grenzen des Ortes hinaus.

Die Wechselausstellung ermöglicht dem Besucher, innerhalb der Ausstellung, im erweiterten Schlosspark, im Nationalpark oder über das Internet die Ausstellung im Gebäude virtuell zu beeinflussen und zu verändern. So sollen Textbeiträge sowie Fotos u.a. von ausserhalb in die Ausstellung einfliessen. Der Technik kann völlig freien Lauf gelassen, neue Informations-Technologien können miteinbezogen werden (SMS, UMTS, etc.).
Die Ausstellung im Innern findet ihre Fortsetzung über drei „Fenster“, d.h. Grossbildschirme an den drei Stirnen des Gebäudes, und wird so nach aussen projiziert. Diese Monitore sind in die Fassade integriert und hinter getöntem Glas im Dorfbild präsent.

Jeder Besuch des SNP bedeutet einen Mehrwert für die Sache der Natur. Der Besucher der Ausstellung sieht nur ein momentanes Abbild. Es ersetzt den Besuch des Parks in keiner Weise. Der Wechsel als Konstante in der Ausstellung, animiert den Besucher, die Ausstellung wieder zu besuchen.
Auch der Besucher im Netz erlebt die Ausstellung auf seine Weise. Auch hier ersetzt das Erlebnis zu Hause oder im Büro den Besuch der Ausstellung vor Ort oder den Gang in die Natur nicht. Jedoch ist heute ein Besuch einer virtuellen Ausstellung im Netz gefragter denn je – jeder Besucher im Netz ist ein potentieller Kunde des SNP von morgen.


Das Schloss – neues Verwaltungsgebäude Nationalpark

Das Schloss wird mit minimalen Eingriffen in das Verwaltungsgebäde des Nationalparkes umgenutzt. Im Erdgeschoss befinden sich die öffentlich zugänglichen Räume, wie Bibliothek und Verwaltung, in den Obergeschossen die Büroräumlichkeiten der Mitarbeiter. Die restriktive Nutzung benötigt keine Erweiterung der Räumlichkeiten im Innern des Schlosses. Der ursprüngliche Zustand soll erhalten werden.


Das Stallgebäude – Kommunikationsgebäude für Gäste und Einheimische.
Der Schlossstall wird so umgenutzt, dass die Strukturen 1:1 erhalten werden können.
Über die verglaste Decke des zweigeschossigen Mehrzwecksaales im OG wird die Konstruktion des Hängesprengwerkes Teil des Saales. Das Dach kann so in seinem ursprünglichen Zustand belassen werden.